Freitag, 29. Mai 2020

A Little Life von Hanya Yanagihara - Review


“...things get broken, and sometimes they get repaired, and in most cases, you realize that no matter what gets damaged, life rearranges itself to compensate for your loss, sometimes wonderfully.” - Hanya Yanagihara

Zum Buch

Titel: A Little Life

Autorin: Hanya Yanagihara

Verlag: Doubleday

Umfang: 720 Seiten (Hardcover)

Inhalt

Vier junge Freunde ziehen nach New York und versuchen sich dort ein Leben aufzubauen. Der gutaussehende, liebe Willem will Schauspieler werden. JB, der witzige und manchmal böse Maler versucht sich in die Kunstszene einzubringen. Malcolm ist ein frustrierter Architekt in einer bekannten Firma und Jude, zurückgezogen, ruhig, brillant, dient als gemeinsamer Mittelpunkt.

Über die Jahrzehnte verändern sich ihre Beziehungen. Sie werden belastet von Sucht, Erfolg und Stolz. Aber ihre grösste Herausforderung ist Jude selbst. Ein unheimlich talentierter Anwalt und immer mehr gebrochen. Seine Seele und Körper sind von einer schrecklichen Kindheit stark gezeichnet und seine Freunde müssen versuchen, ihm auch in den dunkelsten Zeiten beizustehen.

Meine Meinung

SPOILER WARNUNG: Ich werde in meiner Rezension einige Dinge erwähnen, die eine wichtige Rolle im Buch spielen und auch das Ende werde ich spoilern!

TRIGGER WARNUNG: In der Rezension werden folgende Themen besprochen, die dich triggern könnten: Kindsmissbrauch, Vergewaltigung, Gewalt, Missbrauch, Essstörung, Suizid, Depression, Selbstverletzung 

Das Buch beginnt in den jungen Jahren der Freundschaft zwischen Jude, Willem, Malcolm und JB. Wir lernen vier ambitionierte junge Männer kennen, aus denen eine eng verknüpfte Freundesgruppe entsteht. Sie wohnen immer wieder in unterschiedlichen Konstellationen zusammen und werden gemeinsam erwachsen. Anfangs hatte ich etwas Mühe die Charakteren auseinander zu halten, aber schon bald kristallisierten sich die individuellen Persönlichkeiten heraus. Jude ist der Protagonist des Buches. Ihn lernt man mit Abstand am besten kennen. Während Willem und JB im Laufe der Geschichte immer klarer definiert werden, bleibt Malcolm für mich etwas blass. 

Wir begleiten die vier Freunde auf ihrem Weg durchs Leben und erfahren dabei immer mehr über Judes schreckliche Vergangenheit. Ich möchte nicht wirklich genauer auf seine Kindheit eingehen. Wichtig ist zu wissen, dass die Erlebnisse aus seinen ersten fünfzehn Lebensjahren den Verlauf seiner restlichen Lebenszeit definieren. Sowohl psychisch als auch physisch hinterlässt der schwere Missbrauch während seiner Kindheit tiefe Spuren, die ihn zu der Person werden lassen, die er in seinem Erwachsenenleben ist.

A Little Life ist auch eine Geschichte über Freundschaft und gefundene Familie. Die Porträtierung der verschiedenen Freundschaften hat mich sehr berührt. Jude findet im Laufe seines Lebens viele Freunde, für die er eine wichtige Rolle spielt, auch wenn ihm das nicht immer bewusst ist. Zum einen sind da natürlich Willem, JB und Malcolm, die ihn am frühsten kennenlernen. Aber später kommen noch viele weitere Menschen wie Richard, Harold, Julia, die Henry Youngs und Andy dazu, die sein Leben massgeblich bereichern. Was Yanagihara sehr schön darstellt, sind die unterschiedlichen Love Languages. Während Malcolm zeigt, wie wichtig ihm Jude ist, indem er seine Wohnung so gestaltet, dass sie rollstuhlgerecht ist und dabei an Details denkt, die sogar Jude selber vergisst, malt JB ihn immer und immer wieder und in seinen Gemälden zeigt sich seine Zuneigung und Liebe für Jude. Es war schön zu sehen, wie die Charakteren ihre Liebe alle auf unterschiedliche Arten zum Ausdruck bringen. Besonders gerne hatte ich Harold und Julia, die Jude, als er ungefähr dreissig Jahre alt ist, adoptieren und ihm damit eine Familie schenken, was er zuvor nie hatte. Die Liebe und Geduld, die die beiden für Jude haben, ist unermesslich. Auch Andy war ein Charakter, den ich sehr mochte. Er ist Judes Arzt, der ihn für sämtliche Gebrechen behandelt, ohne etwas dafür zu verlangen. Er hat ein schwieriges Verhältnis zu ihm, weil er in ständiger Ungewissheit über das richtige Handeln lebt: Jude ritzt sich seit vielen Jahren und Andy, der das weiss, muss immer wieder aufs Neue beurteilen, ob es Jude besser geht, wenn er so weiter machen kann wie bisher, oder ob eine Therapie helfen würde. Auch er ist ein sehr geduldiger Mensch, dem aber auch mal der Geduldsfaden reissen kann. 

Ein Punkt, der oft kritisiert wird, wenn von diesem Buch gesprochen wird, ist, dass es "Torture Porn" sein soll. Und ich kann sehen, wieso man das sagen würde. A Little Life ist definitiv keine leichte Kost und ich musste das Buch teilweise für ein paar Minuten weglegen, weil besonders die Beschreibungen von Judes Kindheit einfach zu graphisch und brutal waren. Ich bin aber auch der Meinung, dass es eine der besten Darstellungen von Freundschaft und Leiden ist, die ich je gelesen habe. Jude geht es sein ganzes Leben lang schlecht. Nur manchmal kann er sein Leiden für ein paar Momente etwas verdrängen, wenn er Zeit mit seinen Freunden verbringt. Er hat auch glückliche Augenblicke und besonders die Jahre, die er mit Willem in einer Beziehung verbringt, sind schön für ihn. Trotzdem sind die schlimmen Erinnerungen und Gedanken nie weit weg.

Das Ende von A Little Life ist absolut brutal. Gerade als man an einer Stelle ist, an der man ein bisschen zu hoffen wagt, dass Jude vielleicht doch noch ein glückliches Leben führen könnte - er ist mit Willem zusammen, hat liebende Eltern und tolle Freunde, ist erfolgreich im Job und körperlich geht es ihm auch etwas besser - verunglücken Willem, Malcolm und Sophie (Malcolms Partnerin) bei einem Autounfall und Judes Welt gerät ein weiteres Mal komplett aus der Fuge. Willems Tod stürzt ihn in tiefes Elend, aus dem er sich nicht mehr rauskämpfen kann. Seine Freundschaft und dann Liebe zu Willem hat ihm geholfen, mit seiner Vergangenheit umzugehen, aber der plötzliche Verlust seines Partners und seines besten Freundes sind zu viel für ihn. Er geht nur noch zur Arbeit und versucht jegliche soziale Kontakte zu meiden. Er hört auf zu essen. Es geht im schlechter und schlechter. Irgendwann intervenieren seine Freunde und Familie. Er muss in Therapie. Sie bringen ihn dazu, zu essen. Man könnte meinen, es gehe ihm langsam wieder besser. Es gibt eine Szene, die mir als Leserin wirklich Hoffnung gemacht hat, dass es vielleicht doch noch eine letzte positive Wendung geben könnte. 

Und dann begeht Jude Suizid. Das Ende der Geschichte wird aus der Sicht von Harold, Judes Vater, erzählt und es ist absolut herzzerreissend. Als ich das Buch schloss, sass ich mehrere Minuten lang da und konnte einfach nur heulen. Diese Geschichte hat mich unglaublich mitgenommen und sehr erschöpft zurückgelassen. Der Fakt, dass Jude in seinem Leben nie endgültig glücklich oder immerhin zufrieden werden durfte, ist schrecklich. Wenn ich jetzt wieder an A Little Life denke, könnte ich gleich wieder weinen. Und trotzdem habe ich dem Buch auf Goodreads fünf von fünf Sternen gegeben. Denn auch wenn es eines der brutalsten Bücher ist, das ich je gelesen habe, ist es auch mit Abstand eines der besten.

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